Beatrice ist eine 28-jährige Juristin, die sich aufgrund depressiver Phasen in Therapie befindet. Eines Abends, Beatrice will gerade ins Bett gehen, sieht sie eine SMS aufblinken. „Ungewöhnlich, dass Mama mir um diese Uhrzeit schreibt“, denkt sie und liest: „Geliebter, mit dir fühle ich die Liebe, mit dir kann ich lachen, mit dir spüre ich das Leben, Angi“. Beatrice weiß sofort, dass diese SMS nicht für sie bestimmt ist. Es gibt nur einen einzigen Menschen, der ihre Mutter Angi nennt und das ist Thorsten, ein alter Jugendfreund ihrer Mutter, zu dem sie angeblich immer nur eine rein "geschwisterliche Beziehung" hat. Beatrice liest die SMS und fühlt, wie alle Lebensenergie aus ihrem Körper weicht. „Ich kann mich seitdem kaum mehr bewegen. Ich bin wie taub. Ein schwerer, dunkler Schmerz liegt über mir.“
Wie lässt sich Beatrices extreme Reaktion auf diese SMS erklären?
Am Ende der Therapiestunde gelingt es uns, den Kern zu benennen. Es geht Beatrice nicht darum, dass ihre Mutter einen Geliebten hat. Es geht auch nicht darum, dass ihre Mutter ein Geheimnis hat. Es sind diese drei Worte, die Ohnmacht und Erstarrung auslösen: Mit dir kann ich lachen, leben und lieben. Das wahre, echte, lebendige Leben ihrer Mutter fand immer woanders statt, nicht in der Familie. Diese unsichtbare emotionale Mauer hat Beatrice immer gespürt. Das ist der wahre Schmerz.
Im Bauplan der Psyche gibt es eine Abteilung, die ich präverbal nenne. Präverbal heißt, dass wir etwas spüren, wir aber keine klaren Worte dafür haben. Beatrice hatte schon lange ein „komisches Gefühl“ gehabt, ohne dies benennen zu können. Dieses Gefühl ist mit der fehlgeleiteten SMS der Mutter ans Licht befördert worden. Die „Überführung“ von der präverbalen Abteilung ins klare Bewusstsein kann verstörend sein. Sie tut manchmal weh. Präverbale Gefühle sind zwar nicht sichtbar, aber sie können Kraft, Lebensfreude und Leichtigkeit kosten.
Welcher therapeutische Impuls hilft jetzt weiter? Was kann Beatrice jetzt tun?
In dieser Stunde ist ein präverbales Gefühl sichtbar geworden. Dieses darf sich nun erstmal in aller Ruhe an das ungewohnte Rampenlicht gewöhnen. Beatrice muss im Moment nichts tun, die Hauptarbeit macht die Psyche jetzt alleine. Sie wird die oben beschriebene lähmende und schmerzhafte Reaktion in echte, lebendige Gefühle verwandeln. Echte Gefühle kann man wahrnehmen, ernst nehmen, verstehen, verändern. Mit echten Gefühlen kann man umgehen!
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