Nadine hat ihren Schal dick um sich gewickelt, obwohl es im Zimmer warm ist. Ihre Hände sind tief in ihrem Pulli vergraben. Sie blickt mich fest an als würde sie noch prüfen, ob sie das was sie gerade denkt aussprechen soll oder nicht. Nach einer Weile gibt sie sich einen Ruck: „Es gibt da etwas, was ich nicht einschätzen kann. Ich habe das schon sehr lange und es ist nicht ganz leicht zu beschreiben. Manchmal macht es klick und die Welt um mich herum ist nicht mehr real. Ich bin fremd in meinem eigenen Körper. Ich fühle mich wie unter einer Glocke oder in Watte, alles rückt weg. Es ist, als würde ich nicht mehr selber hier sitzen.“ Sie stockt und schaut mich vorsichtig an: „Was könnte das sein?“, fragt sie leise.
Was könnte das sein?
Dieses Phänomen nennt man Depersonalisation und es ist leicht erklärt, wenn Sie die klassischen Reiseföhne kennen. Sie sind klein und kompakt und man föhnt sich für 50 Sekunden die Haare bei maximaler Temperatur und plötzlich schaltet sich der Föhn wegen Überhitzung ab. Erst, wenn man ihn eine Weile erkalten lässt, ist er wieder funktionstüchtig. Ein ähnlicher Mechanismus ist bei der Depersonalisation aktiv. In der Depersonalisation ist die Psyche nicht wegen Überhitzung, aber wegen Überreizung nur eingeschränkt verfügbar.
Ich habe bemerkt, dass sich Betroffene oftmals schämen, wenn sie mir von diesem Phänomen berichten und möchte daher alle beruhigen, die so etwas als Episode schonmal erlebt haben: Eine kurze, vorübergehende Phase der Depersonalisation ist im Grunde nicht so ungewöhnlich und kann gerade bei sensiblen Menschen relativ schnell passieren.
Was ist der nächste therapeutische Impuls?
Ein kleiner Reiseföhn kann lange im Einsatz sein, wenn er nicht überhitzt. Der gleiche Mechanismus wirkt als Schutz gegen die Depersonalisation. Die Psyche muss vor zu starker Überreizung geschützt werden. Und genau das werden wir uns in den nächsten Stunden anschauen. Was genau bewirkt bei Nadine diese Überreizung? Welche Menschen, welche Denkmuster, welche emotionalen Konflikte, welche Erinnerungen, welche belastenden Erfahrungen stehen mit diesem Symptom in Verbindung? Da bei Nadine dieses Phänomen regelmäßig auftritt, ist es eine gute Entscheidung, hier therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen!
Als Psychologin unterliege ich der absoluten Schweigepflicht. Alle Namen, Rahmenhandlungen und biographischen Details habe ich mir ausgedacht. Die Person, die ich hier beschreibe, gibt es nicht. Lediglich der psychologische Kerngedanke in jedem Beitrag ist real. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Pe (Sonntag, 13 Januar 2019 19:23)
Danke!